Bundesverfassungsgericht Berufsfreiheit
Eine Optikerin diagnostiziert mit einem technischen Gerät den Augeninnendruck,
Sie wurde von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerb abgemahnt
– wg Vergehen gegen HP-Gesetz. Nur ein Augenarzt könne zuverlässig
einen Krankheitsbefund ausschliessen. Dies müsse die Optikerin dem Kunden
mitteilen. Das OLG hat dies bejaht. Der BGH hat die Tätigkeit untersagt.
... Vom Ausübungsverbot würden nur Tätigkeiten erfasst, die ärztliche
Fachkenntnisse voraussetzten und gesundheitliche Schädigungen zur Folge
haben könnten, wobei auch nur mittelbare Gesundheitsgefährdungen genügten,
etwa dadurch, dass frühzeitiges Erkennen ernster Leiden verzögert
werden könne, sofern die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung
nicht nur geringfügig sei. Von der Tonometrie und der automatischen Perimetrie
könnten gesundheitliche Gefahren ausgehen, weil ein Kunde, der keine subjektiven
Beschwerden habe, tatsächlich aber an einer Augenkrankheit leide, wegen
eines angeblich normalen Befundes davon abgehalten werden könnte, einen
Arzt aufzusuchen. Der vom Oberlandesgericht für ausreichend gehaltene Hinweis,
dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften
Befund ausschließen könne, führe zu keiner anderen Beurteilung,
da davon auszugehen sei, dass viele Betroffene bei einem unauffälligen
Befund doch mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauten,
dass schon alles in Ordnung sei. Damit sei die naheliegende Gefahr verbunden,
dass schwere Erkrankungen des Auges, die bereits im Frühstadium einer Behandlung
bedürften, zunächst unerkannt blieben.
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Die Optikerrin sah darin eine Einschränkung der Berufsfreiheit und klagte
beim VerfG
Ob sich auf der Grundlage des HPG das Verbot der Tonometrie und der automatischen
Perimetrie durch den Optiker rechtfertigen lasse.
„Es sei allgemein bekannt, dass der überhöhte Augeninnendruck,
der ein wesentlicher Risikofaktor für das Entstehen eines Glaukoms sei,
keine Beschwerden verursache. Es sei nicht zu erkennen, welcher Anlass für
einen subjektiv beschwerdefreien Kunden bestehen sollte, einen Augenarzt aufzusuchen.
Es erscheine weit wahrscheinlicher, dass durch die der Beschwerdeführerin
untersagten Untersuchungen Anzeichen für eine bestehende oder drohende
Augenerkrankung aufgedeckt und der dann erforderlichen ärztlichen Überprüfung
zugeführt würden, als dass umgekehrt ein Kunde durch ein im Normbereich
liegendes Untersuchungsergebnis von einem ansonsten in Betracht gezogenen Arztbesuch
abgehalten würde.
Nach Auffassung des Zentralverbandes der Augenoptiker ist der Nutzen von Tonometrie
und Perimetrie hoch. Die große Zahl leicht erreichbarer Augenoptikerbetriebe
ermögliche es, dass breite Bevölkerungskreise ohne Wartezeiten den
wichtigsten Risikofaktor für das Vorliegen eines Glaukoms ermitteln lassen
könnten. Die Gefahr, dass sich Kunden mit "normalem" Messergebnis
in Sicherheit wögen, sei gering, weil die Augenoptiker ihre Kunden umfassend
und konkret darüber informierten, dass auch ein normaler Messwert nicht
bedeute, dass eine Erkrankung ausgeschlossen werden könne. Im Allgemeinen
werde kein Arzt vorsorglich aufgesucht, weil die Bevölkerung über
die Gefahren eines Glaukoms nicht aufgeklärt sei und Augenärzte die
Glaukom-Vorsorgeuntersuchung meist nicht als Kassenleistung anböten. Die
Zulassung von Augenoptikern als Heilpraktiker, nur um den Verstoß gegen
das Heilpraktikergesetz zu vermeiden, brächte für die Kunden keinen
sachlichen oder fachlichen Vorteil, weil die Ausbildung als Heilpraktiker im
Hinblick auf die beiden Messverfahren keine zusätzlichen Kenntnisse oder
Fertigkeiten vermittele. Es sei eher anzunehmen, dass sich aufgrund der höheren
heilkundlichen Autorität der Heilpraktiker Patienten mit normalen Messergebnissen
häufiger in Sicherheit wiegten.
BverfG
1. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung erfordern danach nicht
nur eine gesetzliche Grundlage, sondern sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG
vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt
werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks
geeignet und auch erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen
der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe
die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird (vgl. BVerfGE 30, 292 <316
ff.>; 61, 291 <312>; 68, 155 <171>; 97, 12 <25 ff.>; 99,
202 <211>). Im Sinne dieser Rechtsprechung ist das Ziel des Heilpraktikergesetzes,
die Volksgesundheit durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung
zu schützen, durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt. Bei der Gesundheit der Bevölkerung
handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz
eine solche subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis
steht (vgl. BVerfGE 78, 179 <192>).
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Die angegriffene Entscheidung wird dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht
gerecht.
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....
Letztlich enthält die angegriffene Entscheidung auch gar keine Abwägung
dahin, ob den Gefahren für die Volksgesundheit durch die Einschaltung von
Heilpraktikern im vorliegenden Fall besser begegnet werden könnte. Zu Recht
hat der Bundesgerichtshof jedoch auch bei der Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten,
die den Ärzten vorbehalten bleiben, und solchen, die auch im Hilfsberuf
erbracht werden können, darauf abgestellt, ob eine mittelbare Gesundheitsgefährdung
droht, weil die Ausgliederung des einzelnen Messverfahrens ein frühzeitiges
Erkennen ernster Leiden verzögern könnte. Auch nach dem von der Klägerin
des Ausgangsverfahrens zu den Akten gereichten Gutachten ist nicht davon auszugehen,
dass die Heilpraktikererlaubnis ein Mehr an Fachkompetenz zur Behandlung oder
Erkennung der hier in Rede stehenden Krankheiten verschafft.
...
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Vertrauen in die Heilpraktiker
und ihre Erkenntnisfähigkeiten hinsichtlich möglicher Erkrankungen
einem Arztbesuch eher entgegensteht als der entsprechende Hinweis durch den
Optiker.
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Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kommt es nur darauf an, ob das
an die Optiker gerichtete generelle Verbot der Tonometrie und der Perimetrie
sowie die Werbung hierfür die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit
verletzt. Dies ist hier der Fall. Wird der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit
in Gestalt eines Tätigkeitsverbots nur mit mittelbaren Gefahren für
die Volksgesundheit begründet, entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit
voneinander (vgl. hierzu BVerfGE 85, 248 <261>), dass bei der Abwägung
besondere Sorgfalt geboten ist. Die Gefahren müssen hinlänglich wahrscheinlich
und die gewählten Mittel eindeutig erfolgversprechend sein. Diesen Anforderungen
genügt die angegriffene Entscheidung nicht.
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aa) Vorliegend lassen sich kaum vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls
dafür finden, Angebot und Ankündigung von Tonometrie und Perimetrie
generell zu verbieten und den aufklärenden Hinweisen, dass ein krankhafter
Befund zuverlässig nur durch einen Augenarzt ausgeschlossen werden kann,
kein Gewicht beizumessen.
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Allein die Möglichkeit, dass ein gebotener Arztbesuch unterbleibt, kann
nicht ausreichen, um eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu begründen.
Diese Gefahr besteht immer, wenn der Patient nicht unter Beschwerden leidet.
Wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, erscheint es plausibel,
dass die Wahrscheinlichkeit einer Aufdeckung von vorhandenen oder drohenden
Augenerkrankungen nach Durchführung von Tonometrie und Perimetrie durch
Augenoptiker - also der Nutzen - größer ist als die Gefahr, dass
ein in Wahrheit erkrankter Kunde im Anschluss an eine bei ihm ohne Befund gebliebene
Optiker-Untersuchung von einem - an sich geplanten - Besuch beim Augenarzt absieht.
Dem in letzterer Hinsicht verbleibenden Risiko kann gerade durch den vom Oberlandesgericht
angeordneten aufklärenden Hinweis ausreichend begegnet werden.
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...Plausibel erscheint allerdings, dass beim Optiker festgestellte Indizien
- wie der erhöhte Augeninnendruck - einem gesundheitsbewussten Menschen
erstmals Anlass geben, sich von einem Augenarzt untersuchen zu lassen.
...Außerdem kann bei unauffälligen Messergebnissen die verbleibende
Restunsicherheit, auf die der Kunde vom Optiker hingewiesen wird, zu einer Abklärung
beim Augenarzt führen. Danach ist es eher fernliegend, das Verbot der Messungen
durch den Optiker als einen Beitrag zur Verbesserung der Volksgesundheit zu
werten. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, dass die Anzahl der beschwerdefreien
Personen, die bisher vorsorglich die Augenärzte zur Durchführung von
Tonometrie und Perimetrie konsultiert hat, sich durch das Angebot der Optiker
stärker vermindert als die Zahl derjenigen wächst, die nach der Messung
durch einen Optiker den Arzt aufsucht. Erst dann wäre überhaupt ein
hinlänglicher Bezug zu den der Volksgesundheit drohenden Gefahren hergestellt.
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bb) Jedenfalls ist das generelle Verbot der Tonometrie und Perimetrie durch
Optiker sowie das diesbezügliche Werbeverbot zum Schutz der Gesundheit
der Bevölkerung nicht erforderlich. Der Schutz der Gesundheit der Kunden
kann durch die Untersuchung einerseits und durch den vom Oberlandesgericht -
im Anschluss an die vom Bundesinnungsverband der Augenoptiker gesetzten Standards
- geforderten aufklärenden Hinweis vor ihrer Durchführung andererseits
weit besser gewährleistet werden. Ein Teil der problematischen Fälle
wird bei solchen Personen aufgedeckt, die sich zuvor nicht veranlasst sahen,
einen Augenarzt aufzusuchen. Bei den übrigen Personen stellt der Optiker
zwar keine signifikante Normabweichung fest, weckt aber durch seine Belehrung
bei den Betroffenen Problembewusstsein und fördert damit die Möglichkeiten
der Früherkennung durch den Arzt. Damit verträgt sich die Annahme
des Bundesgerichtshofs nicht, dass viele Betroffene bei einem unauffälligen
Befund mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauten,
dass schon alles in Ordnung sei. Der Bundesgerichtshof unterschätzt die
warnende Belehrung und begründet nicht, inwiefern dieser beschwerdefreie
Personenkreis ohne die Untersuchung nicht ohnedies in einer trügerischen
Sicherheit lebt. Die naheliegende Gefahr, dass schwere Erkrankungen des Auges,
die bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürfen, zunächst
unerkannt bleiben, ist ohne die Untersuchung durch den Optiker noch größer,
der immerhin einen gewissen Anteil richtig erkennt. Erst durch den Hinweis des
Optikers wird den Übrigen die generelle Gefährdung bewusst werden,
die für bestimmte Risikogruppen eine Vorsorgeuntersuchung angeraten sein
lässt. Hierauf und auf das fehlende Problembewusstsein in der Öffentlichkeit
hat auch der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. hingewiesen.
Danach ist es kein erfolgversprechendes Mittel, Messungen, die an aufklärende
Hinweise gebunden sind, zu verbieten, solange den beschwerdefreien Personen
das Risiko weitgehend unbekannt ist.
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