BVerfG, 2 BvR 1264/90 vom 29.10.1999, Absatz-Nr. (1 - 30), zum
Beschluß des Zweiten Senats
Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verbietet eine allein nach der
Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung.
§ 4 Nr. 14 UStG bestimmt in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz
2 EStG, daß die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt,
Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen
Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei sind. Streitig
ist, ob der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG
dadurch verletzt ist, daß seine Umsätze als selbständiger Heileurythmist
nicht als steuerfrei behandelt worden sind.
1. Gegen den Beschwerdeführer - einen selbständig tätigen Heileurythmisten
- ergingen für die Jahre 1973 bis 1977 Umsatzsteuerbescheide. Das Finanzamt
lehnte es ab, die Tätigkeit des Beschwerdeführers als umsatzsteuerbefreiten
Heilhilfsberuf im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG anzuerkennen; diese Tätigkeit
bedürfe nicht, wie etwa die eines Krankengymnasten, der staatlichen Erlaubnis,
unterliege weder der Aufsicht durch die Gesundheitsbehörden noch sei die
Ausbildung gesetzlich geregelt.
II. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen
die Revisionent-scheidung des Bundesfinanzhofs und rügt die Verletzung
seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zur Begründung nimmt er im wesentlichen
Bezug auf die Ausführungen des Finanzgerichts, wonach die Tätigkeit
des Beschwerdeführers mittelbar auch der Aufsicht durch die Gesundheits-behörde
unterliege und es unzulässig sei, eine heilberufsähnliche Tätigkeit
nur bei gesetzlicher Regelung des Berufs anzuerkennen, wenn der Vergleichsberuf
gesetzlich geregelt sei.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem
Gesetz. Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den Einzelnen als
Person betrifft, und um so mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen,
als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse
geregelt werden (vgl. BVerfGE 96, 1 <5 f.>; 99, 88 <94>).
Nach diesem Maßstab verstößt die angegriffene Entscheidung
des Bundesfinanzhofs, die einer beruflichen Tätigkeit als Heileurythmist
die Umsatzsteuerbefreiung nur zuspricht, wenn der Gesetzgeber sie entweder in
den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufgenommen oder ihre Ähnlichkeit
mit einem Katalogberuf durch eine Berufsregelung bestätigt hat, gegen das
Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.
...
1. Die angegriffene Entscheidung führt im Ergebnis dazu, daß der
Beschwerdeführer allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung für
heilberufliche Tätigkeiten im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG ausgenommen
ist, weil keine berufsrechtlichen Regelungen für die Heileurythmie bestehen.
a) Die berufsrechtliche Regelung ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund,
von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer "heilberuflichen Tätigkeit"
im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte.
Eine berufsrechtliche Regelung mag geeignet sein, die berufliche Qualifikationshöhe
einzuschätzen. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt jedoch
für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, eine Ähnlichkeit
mit einem in § 4 Nr. 14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit
von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen.
Für den Beruf des Synergetik Therapeuten gibt es auch keine
staatliche berufsrechtliche Regelung - die Chance ist genauso gegeben, als Heilhilfsberuf
angesehen zu werden, also eine selbständige Basis zu haben, auch ohne unter
das Heilpraktikergesetz zu fallen. Es ist nicht einzusehen, daß der Staat
an der Heilung von selbstfinanzierten Massnahmen noch mitverdienen soll.
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